Mannheim liest 2024

Drei Kameradinnen

von Shida Bazyar

Die Autorin

Shida Bazyars Eltern waren politische Aktivist*innen und flohen 1987 aus dem Iran. Sie wurde 1988 in Hermeskeil, in Rheinland-Pfalz geboren. Sie studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim und setzt sich in ihrem Schreiben mit Rassismus- und Sexismuserfahrungen auseinander, wie etwa in ihrem Text „Bastelstunde in Hildesheim oder Warum ich in Hildesheim lernte, dass der eine -ismus mich davon abhält über den anderen zu reden“, der 2017 im Merkur veröffentlicht wurde. Nach ihrem Studium zog sie nach Berlin, wo sie als Bildungsreferentin und Autorin arbeitete.

Shida Bazyar ist Gründungsmitglied des PEN Berlin. Drei Kameradinnen, nominiert für den Deutschen Buchpreis 2021, ist nach ihrem vielfach ausgezeichneten und in zahlreiche Sprachen übersetzten Debüt Nachts ist es leise in Teheran ihr zweiter Roman – ein „großer, aufwüh-lender, auch witziger Roman“ (NDR), ein „wuchtiger Roman über ein geteiltes Land“ (WDR).

In einem Interview mit der taz im Mai 2021 spricht Shida Bazyar über ihre eigene Position als Autorin im deutschsprachigen Literaturbetrieb und die Rezeption ihrer Texte. Dort geht sie auch auf den gesellschaftspolitischen Hintergrund ihres Romans Drei Kameradinnen ein, die Kontinuität rechten Terrors:

„Ich habe beim Schreiben gar nicht damit gerechnet, dass rechter Terror überhaupt Thema des Romans wird – das hat sich so eingeschlichen. Weil eine Figur wie Saya in unserer Gegenwart gar nicht darum herumkommt, sich mit rechtem Terror zu beschäftigen. Als ich angefangen habe zu schreiben, war das noch vor Halle, Hanau, dem Mord an Walter Lübcke und dem NSU 2.0. Trotzdem musste ich beim Fertigstellen des Manuskripts nur einzelne Keywords ergänzen. Rechter Terror hat einfach so eine Kontinuität, dass ich einem Text, den ich vor zwei Jahren geschrieben habe, kaum etwas hinzufügen musste.“

Das Buch

„Wir nehmen das, was uns als Realität verkauft wird, und übermalen damit unsere eigenen Biografien.“

 

Der Roman beginnt mit der Zeitungsmeldung von einem vorsätzlich gelegten »Jahrhundertbrand« in einer Mietskaserne, »der bereits jetzt als einer der verheerendsten in der Nachkriegs-zeit gilt« – ein Verbrechen, über das trotz seiner klaren rechtsterroristischen Signatur als islamistischer Anschlag berichtet wird. Statt an die Kontinuität rechter Gewalt zu erinnern, stürzen sich die Medien auf Kasihs beste Freundin Saya als mutmaßliche Täterin. Ihre Wut und ihr Widerstand gegen Diskriminierung werden als Beweise gegen sie gewendet. Und so beginnt Kasih zu erzählen:

 

„Es ist Freitagnacht, 2:28 Uhr, und ich versuche, vorne anzufangen. Das wird nicht klappen, denn vorne, das wäre in einer Zeit, als es uns noch nicht gab. […] Fangen wir also beim Dienstag an.“

 

Sie erzählt von heute und gestern, von Freundschaft und der Freiheit auf dem Dach, vom Aufwachsen in ‚der Siedlung‘ und der ersten Liebe, von schulischen und akademischen Erfolgen – und von Ausgrenzung und Diskriminierung, von Ungleichheit und Unterstellungen. Und Kasih erzählt unzuverlässig, weil diese Freundschaft nicht der Vorlage der unschuldigen Abenteuer der Hanni-und-Nanni-Geschichten folgen kann, so schön das auch wäre. Vielmehr gilt es, das eigene Leben gegen die vorgefertigten Schablonen zu verteidigen. Es gilt, gegen den Schmerz und im Kampf mit der Wut zumindest im Erzählen der Realität eine andere Wirklichkeit abzuringen:

 

„Es ist ja auch nicht so, als hätte die Welt uns eine Reihenfolge geliefert, die Sinn ergeben würde. Warum sollte ich mich dann an eine halten? Reihenfolgen sind was für Deutschlehrer, damit sie unsere Geschichten zügeln können.“

 

Erzählt in einer Nacht, holt der Roman mit den vorangegangenen vier Tagen die Geschichte einer Freundschaft ein – inmitten der Kontinuität rechter Gewalt. Inspiriert wurde Shida Bazyar zu ihrem Roman von Erich Maria Remarques Drei Kameraden (1936):

 

„Ich habe von Remarque gelernt, wie viel Wirkmacht es hat, wenn man über das Töten und das Sterben und die Ungerechtfertigkeit der Gewalt schreibt. Seit September 2022 die Revolution zu verfolgen, bedeutet, jeden Tag Fotos von Menschen zu sehen, die man ermordet hat. […] Die Lektüre von DREI KAMERADEN hat mir geholfen, herauszufinden, was ich wirklich mit meinem Schreiben möchte und die Motivation zu haben, dem nachzugehen.“

 

Shida Bazyar: Drei Kameradinnen
Erstausgabe: April 2021, ISBN: 978-3-462-05276-3
Taschenbuch: September 2022, ISBN: 978-3-462-00354-3
Englische Übersetzung: Sisters in Arms, Oktober 2023, ISBN: 978-1915590206
Hörspiel: WDR-Hörspiel, 24.03.2024, 54:05 Min.

Beiträge des Praxismoduls des Studiengangs Literatur, Medien und Kultur der Moderne der Universität Mannheim in dem Seminar „Interview, TikTok, Rezension. Kulturjournalismus rund um ‚Mannheim liest ein Buch‘“


Am 08.11.2024 sprachen Ann-Christin Bäumker und Sophie Wolke mit Autorin Shida Bazyar über ihren Roman Drei Kameradinnen und fragten sie u.a. danach, wie das Schreiben helfen kann, Identitätskonflikte zu verarbeiten und neue Perspektiven auf die Welt zu gewinnen, und inwiefern die Biografie den eigenen Schreibprozess beeinflusst.

Bleibt beieinander

In diesem Jahr liest Mannheim Shida Bazyars Drei Kameradinnen. Der Roman erschien im Frühjahr 2021 und war für den Deutschen Buchpreis nominiert. Er begleitet drei Freundinnen in ihrem Alltag zwischen Rassismus, Klassismus und Sexismus. Im Gespräch mit Jana Baier und Emma Jürgens, zwei Studentinnen der Universität Mannheim, spricht Shida Bazyar unter anderem über ihre Inspiration zu diesem Roman, über fehlende Aspekte in der Rezeption und über bewusste Leerstellen.


Wie findest du es, dass dein Roman für „Mannheim liest ein Buch” ausgewählt wurde?


Shida Bazyar: Ich finde das Konzept, dass eine Stadt ein Buch liest, einfach total toll, weil so viele verschiedene Akteure mitwirken. Dabei entstehen sehr viele kreative Ideen, wie man mit Literatur umgehen kann. Es ist eine Ehre und eine sehr schöne Art der Wertschätzung, wenn das eigene Buch dafür ausgewählt wird. Ich bin besonders gespannt auf Veranstaltungen, bei denen ich selbst gar nicht dabei bin. Die Eigenleben, die dort entstehen, wecken mein Interesse. Ich bin sehr neugierig, wie diese Veranstaltungen verlaufen werden.


Wen willst du mit deinem Buch erreichen? Hast du das Gefühl, diese Menschen erreicht zu haben?


Ich schreibe für keine spezifische Zielgruppe. In erster Linie schreibe ich für mich. Mit „Drei Kameradinnen” habe ich ein Buch geschrieben, das ich mir selbst immer gewünscht habe. In dem Roman sind größtenteils Erfahrungen beschrieben, die jeder kennt, ob aus der Innen- oder der Außenperspektive. Zum Beispiel die Reibungen in einer Stadt mit unterschiedlichen Milieus. Die meisten Rückmeldungen zu „Drei Kameradinnen” habe ich von Menschen bekommen, die Diskriminierungserfahrungen – vor allem mit Rassismus, aber auch Sexismus – aus ihrem eigenen Alltag kennen und sich deswegen in dem Buch wiedergefunden haben. Daran habe ich gemerkt, wie heilsam Literatur sein kann. Dazu muss sie keine Utopie vermitteln oder Hoffnung geben. Es ist schon heilsam, wenn die eigenen Erfahrungen irgendwo abgebildet werden.


Fehlt dir irgendetwas in der Rezeption des Romans?


Ich habe mich gewundert, warum Klassismus oft nicht erwähnt wird. Es wird viel über Rassismus und manchmal auch Sexismus geredet, aber sehr wenig über Klassismus. Zum Beispiel wird in der Rezeption gedacht: „Das sind ja Ausländer – die gehen nicht essen.” Statt sich zu überlegen, ob das mit der sozialen Herkunft in Verbindung steht, dass diese Menschen sich das vielleicht nicht leisten können. Und ich denke, das sagt auch viel über Rassismus aus.


Es gibt noch eine weitere Sache, die mich in der Rezeption auch oft irritiert hat. Der Roman handelt sehr stark davon, wie wenig Wissen es in der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu rechtem Terror gibt. Er beinhaltet beispielsweise zwar Anlehnungen an den NSU, aber fiktionalisiert alle Fälle. Die Rezeption hat das größtenteils überhaupt nicht verstanden, was ich auf traurige Weise vielsagend finde. Häufig wurde gesagt, es ginge tatsächlich um den NSU-Prozess. Das zeigt, dass dieses eigentlich selbstverständliche Wissen darum, wer der NSU eigentlich war, was das für ein Prozess war und wer ermordet wurde, nach wie vor sehr gering ist. Es ist, als würde sich der Roman selbst bestätigen.


Was hat dich inspiriert, das Buch zu schreiben? Gab es einen bestimmten Moment der Entscheidung oder war es ein längerer Prozess?


Ehrlich gesagt war es ein Prozess. Aber es gab einen Moment, an dem ich dachte: So, jetzt ist das Fass übergelaufen. Das war, als ich das Buch „Drei Kameraden” von Erich Maria Remarque gelesen hatte. Daher auch der Titel meines Romans. Durch dieses Buch habe ich gemerkt, wie schön es ist und wie viel Kraft es einem selbst verleiht, wenn man davon liest, was sich Menschen gegenseitig geben können. Es hat mich aber geärgert, dass es sich gerade auch bei Remarque um eine sehr geschlechtsspezifische – nämlich männliche – Freundschaft handelt. Dadurch zeichnet sich oft ein Muster ab, welche Erzählungen über Freundschaft wir für normal halten. Deswegen wollte ich mit „Drei Kameradinnen” eine Geschichte über weibliche Freundschaft schreiben. Ich habe seit meiner Kindheit immer diese Art von Geschichten gelesen, in denen verschiedene komplexe Frauen- oder Mädchenfiguren zusammenfinden, ihren eigenen Schutzraum bauen, und ich habe mich in ihnen zuhause gefühlt. Diese Beispiele gibt es, aber sie sind zu wenige, und im kulturellen Gedächtnis sind sie meist als unwichtig oder kitschig herabgesetzt worden. Das Buch hatte sich schon seit vielen Jahre, bevor ich mit dem Schreiben begann, bei mir angebahnt. Aber ich habe Remarque gebraucht, um zu denken: Jetzt ist der Moment.


Hast du die Handlung des Romans vorher schon konzipiert oder war das ein laufender Prozess während des Schreibens?


Ich habe die Szene, in der die drei auf dem Dach sitzen und sich wiedersehen, direkt am Anfang geschrieben. Dass Kasih am Schreibtisch sitzt und von dort aus ihrer Perspektive die Vergangenheit aufrollt, war auch von Beginn an klar. Ebenso, dass Saya irgendetwas vorgeworfen wird. Allerdings wusste ich am Anfang noch nicht, was genau ihr vorgeworfen wird. Dieses Grundgerüst habe ich gebaut, damit es einen Grund gibt, den Figuren zu folgen. Diesen groben Rahmen habe ich nur gebraucht, damit ich darin die vielen kleinen Begegnungen beschreiben kann, bei denen es zu Reibungen kommt. Insofern bin ich zunächst den Figuren gefolgt und habe das geschrieben, worauf ich Lust hatte. Ich kam von Anekdote zu Anekdote. Erst ab ungefähr der Hälfte des Textes musste ich dann entscheiden, was die genaue Grundhandlung sein würde. Auch den Zeitungsartikel habe ich deshalb erst relativ spät eingefügt.


Wie hast du zu den Figuren gefunden?


Die waren einfach irgendwie da. Ich hatte ein Gefühl dafür, wie diese Stimmung auf dem Dach sein sollte. Beim Schreiben habe ich einfach ausprobiert, wer da sitzt und wie diese Figuren miteinander reden. Dadurch waren sie schon sehr konturenscharf. Ich habe mich also eigentlich gar nicht für diese Figuren entschieden, sie kamen und blieben.


Wie viel von dir selbst steckt in den Figuren?


Ich teile mit den Figuren die Erfahrungen von Sexismus und Rassismus und in Teilen auch Klassismus in meinem Alltag. Allerdings schreibe ich nicht genau darüber, was mir passiert ist. Stattdessen habe ich aus meinen Erfahrungen und denen meiner Freundinnen und Freunde Mechanismen festgestellt. Denn die Situationen ähneln sich immer ein Stück weit. Daraus habe ich dann Situationen für meine Figuren erschaffen. Ich fände es auch sehr langweilig, über mich zu schreiben. Aber ich merke natürlich trotzdem, dass die Figuren auf Anteilen aufgebaut sind, die ich von mir selbst kenne.


Die drei Hauptfiguren gehen sehr unterschiedlich mit rassistischen Erfahrungen um – warum ist das so?


Bei dieser Entscheidung habe ich viel darüber nachgedacht, was genau die Auseinandersetzungen der drei sind. Ich wollte, dass die Frauenfiguren diskutieren und nicht streiten. Die Frage war nur, worüber sie diskutieren. Und da war mir irgendwann klar: Es ist nicht Gegenstand der Diskussion, ob es Rassismus gibt oder nicht. Denn das ist ja das, was die Außenwelt bis heute diskutiert. Ich selbst hatte oft Diskussionen mit Freundinnen und Freunden darüber, ob man zufrieden ist mit dem gesellschaftlichen Fortschritt. Den gibt es natürlich: Dinge werden besser, das kann man deutlich sehen. Ich habe eine Freundin, die mir aber klargemacht hat, dass es immer noch viel zu wenig ist und wir uns damit nicht zufriedengeben können. So eine Art von Diskussion passte dann gut zu diesen drei Figuren.


Warum gibt es einige bewusste Leerstellen im Buch, beispielsweise die fehlende Benennung der Herkunft der Figuren?


Ich glaube, dass uns solche Informationen in manchen Texten eher einschränken, als dass sie uns einen Informationsgehalt liefern. Sagen wir, ich hätte Saya zur Kurdin gemacht – es wäre sehr leicht, das direkt identitätspolitisch zu konnotieren. Sie wäre dann die stereotype wütende, politische Kurdin. Ich glaube, dass Saya durch Zuschreibungen, mit denen man sie überhäufen würde, kleiner werden würde. Dadurch, dass ihre Herkunft nicht benannt ist, gibt es eine viel größere Offenheit. Auch weil diese Information für den Text tatsächlich egal ist. Seit Jahren gibt es die Diskussion, dass Menschen nicht gefragt werden wollen: „Woher kommst du?” Würde ich meinen Figuren jetzt andichten, dass sie da und da herkommen, dann hätte ich den Lesenden diese Antwort gegeben, nach der sie mit Sicherheit tatsächlich fragen würden. Kasih wirft das ihrem Publikum auch vor. Sie ist eine mächtige Erzählerin – aber eben nicht per se, sondern weil sie sich diese Macht holt. Und solange sie Wissen besitzt, das sie nicht mit uns teilt, ist ihre Macht noch größer.


Warum hast du diese Erzählstimme gewählt und warum gibt es eine direkte Ansprache an die LeserInnen?


Das ist sehr intuitiv. Oft gibt es als erstes so ein Gefühl, das ich umsetze. Der Stoff selbst sucht sich dann seine eigene Form und Struktur. In diesem Fall hätte es als Erzählstimme kein freundlich zugewandter Tonfall sein können, weil der Stoff Ecken und Kanten mitbringt. Dass eine direkte Ansprache an die LeserInnen stattfindet, hängt damit zusammen, dass es noch kein selbstverständliches Sprechen über Rassismus in Deutschland gibt. Weil wir immer noch bestimmte Diskussionen führen, die eigentlich längst geklärt sind, beispielsweise dass es nicht nur einzelne Erfahrungen, sondern strukturelle Probleme sind. Jeder Text, der davon handelt, ist automatisch ein Teil dieser Diskussion. Das heißt, ich kann gar keinen Text schreiben, ohne diesen Resonanzraum mitzudenken, in dem er sich befindet. Das hat dazu geführt, dass Kasih ihr Publikum adressiert. Vielleicht hatte ich auch schon von vorneherein ihre Haltung – sie steht ja im Grunde wie auf einer Bühne und durchbricht die vierte Wand, indem sie das Publikum anspricht –, weil das für mich direkt eine enorme Wucht hatte. Und Stärke. Und es sollte eine wuchtige und starke Erzählstimme sein, das war mir wichtig.


Welche Intention hattest du dabei, dass Kasih die LeserInnen teilweise in die Irre führt?


Kasih ist eine Figur, der man meist keinen Vertrauensvorschuss mitgibt. Oder anders gesagt: Wenn Menschen wie Kasih – also nicht-weiße Frauen, Hartz-IV-Empfängerinnen, aufgewachsen in sozial prekären Kontexten – reden, dann gibt es viele Instanzen, die ihnen nicht glauben, die ihnen widersprechen und die die Deutungshoheit haben. Menschen wie Kasih haben in der Regel nicht viel zu melden in der Gesellschaft, weil man ihnen nicht vertraut. Ich wollte nicht, dass meine Figur für ihre eigene Glaubwürdigkeit kämpfen muss. Deswegen fand ich es viel mächtiger, dass sie genau damit spielt und im Prinzip sagt: „Es gibt auch überhaupt keinen Grund, mir zu glauben. Ich lüge ja auch. Ich behaupte Dinge und nehme manche Aussagen sofort wieder zurück.” Sie muss niemandem etwas beweisen. Denn das wäre unmöglich: Wir können unsere Erfahrung nicht beweisen. Und das müssen wir auch nicht.


Welche Botschaft willst du deinen LeserInnen mit auf den Weg geben?


Es gibt einen Satz aus dem Roman, den ich beim Signieren auch immer gerne in das Buch schreibe: „Bleibt beieinander!” Nicht weil das, was die drei Figuren haben, ein perfekt laufendes Bündnis ist. Sondern weil der Roman von vielen Situationen handelt, in denen Bündnisse nicht zustande kommen. Wenn Kasih zum Beispiel im Jobcenter ist und von der Person, die dort arbeitet und eine gewisse Macht über sie hat, keine Zeichen menschlicher Regung oder Unterstützung bekommt, dann ist das gar nicht naturgegeben. Diese Person könnte auch als Frau oder als Person, die vermutlich weiß, wie sich eine lange Arbeitssuche anfühlt, mit ihr zusammenarbeiten. Das heißt, für mich ging es in allen Situationen mit Reibung vor allem immer auch darum: Warum findet hier gerade kein Bündnis statt, obwohl eines möglich wäre? Genau deswegen ist das Buch ein Plädoyer dafür, sich zusammenzutun, weil wir diese Bündnisse brauchen. Gerade jetzt gefühlt mehr denn je. Das ist die Botschaft von „Drei Kameradinnen”.


Dieses Interview entstand im Rahmen des Praxismoduls des Studiengangs Literatur, Medien und Kultur der Moderne der Universität Mannheim in dem Seminar „Interview, TikTok, Rezension. Kulturjournalismus rund um ‚Mannheim liest ein Buch‘“. Es wurde durchgeführt von den Master-Studentinnen Jana Baier und Emma Jürgens.

Die richtige Stimme finden

In diesem Jahr dreht sich bei der Leseaktion Mannheim liest ein Buch alles um Shida Bazyars Roman Drei Kameradinnen. Doch nicht nur in Mannheim findet die Geschichte rund um die drei Freundinnen Kasih, Saya und Hani Anklang. Dank des australischen Verlags Scribe Publications hat es der Roman inzwischen ans andere Ende der Welt und in den englischsprachigen Sprachraum geschafft.
Möglich gemacht hat das Übersetzerin Ruth M. Martin. Im Gespräch mit Antonia Freienstein, Studentin an der Universität Mannheim, gibt sie Einblicke in die Herausforderungen des Übersetzens, die Zusammenarbeit mit Autor*innen und den Literaturbetrieb.


Wie hast du deinen Weg zur literarischen Übersetzung gefunden? Was hat dich an diesem Beruf fasziniert?


Ruth M. Martin: Ich habe zuerst Anglistik studiert und dann in der Germanistik promoviert. In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit Kafka beschäftigt. Aber es gibt und gab auch schon damals nicht viele akademische Anstellungen in der Germanistik oder generell im Bereich der Sprachen. Deshalb habe ich zunächst Konferenzen, Kongresse und Ähnliches organisiert. Nach vier oder fünf Jahren habe ich durch die Übersetzung zurück zur Literatur gefunden. Inzwischen habe ich ungefähr 20 Bücher übersetzt und das Übersetzen ist zu meiner Haupttätigkeit geworden.


Wie läuft typischerweise die Vermittlung eines Buches an Übersetzer*innen ab? Gibt es im englischsprachigen Raum spezielle Agenturen oder Scouts für deutschsprachige Werke?


Ja, es gibt Scouts, aber nicht besonders viele. Die größeren englischsprachigen Verlage haben ihre eigenen Beziehungen zu den deutschen Verlagen und fragen Übersetzer*innen meist direkt an. Übersetzer*innen können den Verlagen aber auch vorschlagen, die Rechte an einem bestimmten Buch zu kaufen, wenn es sie besonders begeistert hat.

Insgesamt ist der deutschsprachige Übersetzungsmarkt in Großbritannien eher überschaubar. „It’s a small world“, würde ich sagen. Wir Deutsch-Englischen Übersetzer*innen kennen uns untereinander. Es ist eine sehr nette Gemeinschaft.


Wie ist es dazu gekommen, dass du zur Übersetzerin von „Drei Kameradinnen“ geworden bist?


Bei Drei Kameradinnen hat mich Kiepenheuer & Witsch, der deutsche Verlag des Buchs, gebeten eine Probeübersetzung anzufertigen. Das war noch bevor Drei Kameradinnen überhaupt auf Deutsch veröffentlicht worden war. Ich habe es also gelesen und dann einen Leserbericht für den australischen Verlag Scribe geschrieben. Daraufhin hat Scribe die Rechte gekauft. Ich war also ein bisschen in den Prozess der Vermittlung involviert.


Wie lief denn die Zusammenarbeit mit der Autorin Shida Bazyar ab, nachdem sich „Scribe“ für eine Übersetzung ihres Buchs entschieden hat? Hatte sie vielleicht bestimmte Wünsche oder Vorstellungen für die englische Version?


Es gibt ein Magazin in Großbritannien, das in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut erscheint und neue deutschsprachige Bücher bewirbt – New Books in German. Für sie habe ich Shida interviewt, als das Buch gerade auf Deutsch veröffentlicht worden war. Wir standen also bereits in Kontakt. Bevor ich dann tatsächlich mit der Übersetzung angefangen habe, habe ich ihr nochmal eine Mail geschickt, um zu fragen, ob sie irgendwelche Tipps für mich hat. Das finde ich immer eine spannende Frage, weil man manchmal Antworten bekommt, die man nicht erwartet. Shida hatte allerdings schon ein paar meiner Übersetzungen gelesen und meinte nur: „It’s fine. I trust you, carry on.“ Während der Arbeit habe ich aber immer wieder Fragen gestellt. Fragen wie „Was genau meinst du damit?“ oder: „Ich würde das gerne ein bisschen ändern, darf ich das so machen?“ Manche Dinge wollte ich nicht ohne ihre Zustimmung tun.

Generell ist es immer sehr unterschiedlich, wie detailliert die Vorabgespräche mit den Autoren und Autorinnen ablaufen. Normalerweise schicke ich eine E-Mail mit einer Liste an Fragen. Bisher gab es nur einen Autor, der lediglich über den Verlag mit mir in Kontakt stehen wollte. In der Regel sind Schriftsteller*innen sehr nett und zugänglich. Jedes Buch ist anders, deshalb sind auch die Fragen immer sehr individuell.  Aber über die Stimme, den Stil oder auch den Ton mache ich mir selbst Gedanken. Das sind Dinge, die ich beim Lesen heraushöre und dann versuche nachzuahmen.


Bei „Drei Kameradinnen“ fällt mir direkt der Titel ein. Shida Bazyar hat bei der Auftaktveranstaltung zu Mannheim liest ein Buch betont, dass ihr Buch durch „Drei Kameraden“ von Erich Maria Remarque inspiriert worden ist. Wie war es, einen passenden englischen Titel zu finden?


Ja, das war eine Herausforderung. Der Remarque-Roman ist im englischsprachigen Raum weniger bekannt. Außerdem lässt sich die Abänderung von „Kameraden“ in „Kameradinnen“ nicht ins Englische übertragen. Ich bin auf Sisters in Arms gekommen, weil es im Buch eine Stelle gibt, an der die Protagonistinnen darüber sprechen, wie sie fälschlicherweise für Schwestern gehalten werden. Ich fand den Titel schön – einerseits weil die Figuren tatsächlich einen schwesterlichen Umgang miteinander haben, aber auch wegen dem kämpferischen Element. Sisters in Arms ist ja auch ein Begriff, der für Soldatinnen verwendet wird. Die Figuren kämpfen sozusagen gemeinsam gegen die Welt. Shida mochte den Titel, ich glaube, das lag unter anderem auch daran, weil Brothers in Arms der Titel von einem Lied ist, das sie mag.


Abgesehen vom Titel – Was sind typischerweise sprachliche oder kulturelle Barrieren, wenn es um das Übersetzen von deutschsprachigen Büchern ins Englische geht? Gibt es da wiederkehrende Herausforderungen?


Die kulturellen Elemente, würde ich sagen. In Drei Kameradinnen gab es zum Beispiel Anspielungen auf Jugendserien, Talkshows und kulturelle Figuren wie etwa Schauspieler, die man außerhalb von Deutschland häufig gar nicht kennt. Dann stellt sich die Frage, ob man an ihre Stelle englische Figuren setzen sollte oder erklären wer die Leute sind, zum Beispiel in einer Fußnote. Es gibt in der Übersetzung aber auch eine Technik, die stealth glossing genannt wird. Dabei wird nicht explizit erklärt, was etwas ist, stattdessen werden indirekt Hinweise eingebaut. Zum Beispiel könnte man schreiben: „Ich gehe nach Hause, um die Seifenoper Unter uns zu schauen.“

Ich glaube der Titel der Serie wurde in Drei Kameradinnen zwei- oder dreimal wiederholt. Jedes Mal konnte ich ein bisschen zusätzliche Informationen einfließen lassen, damit die Leser*innen verstehen, worum es geht ohne, dass ich es explizit erklären oder zu einer im englischen Raum verbreiteten Alternative wie EastEnders zurückgreifen musste.

Manchmal gibt es auch Begriffe, die sich nicht einfach übersetzen lassen. In Drei Kameradinnen taucht zum Beispiel das Wort „Bio-Deutsch“ auf, das eine ganze Geschichte in sich trägt, die sich nicht so einfach ins Englische übersetzen lässt. Ich habe stattdessen geschrieben: „He’s a proper homegrown, socks-and-sandals German.“ Das enthält ein bisschen Klischee und durch „homegrown“ auch den Bio-Aspekt und ein bisschen Blut und Boden. Dann ist das alles irgendwie mit drin, ohne dass zu viel erklärt wird.


In „Drei Kameradinnen“ spielen unter anderem Rassismuserfahrungen und das Thema kulturelle Identität eine Rolle. Wie bist du als weiße Übersetzerin damit umgegangen, eine Geschichte über die Erfahrungen von Figuren of Colour zu übersetzen?


Ich bin das sehr vorsichtig angegangen und habe viele Fragen gestellt, um sicherzugehen, dass ich nichts falsch mache. Außerdem gibt es in Looren, in der Nähe von Zürich, ein Übersetzerhaus. Dort habe ich mich mit elf anderen Übersetzer*innen zu einer Übersetzerwerkstatt getroffen. Wir haben alle unsere aktuellen Projekte mitgebracht und über verschiedene Dinge diskutiert. Es gab dort auch Übersetzer*innen of Colour und das war sehr hilfreich. Leider gibt es diese Werkstätte nicht so oft aber nach Looren bin ich inzwischen schon dreimal gefahren um an einem Roman zu arbeiten. Der Austausch mit anderen Übersetzer*innen ist sehr hilfreich.

Insgesamt war auch beruhigend, dass Shida die englische Version gelesen und mir gesagt hat, dass ich die richtige Stimme und den richtige Ton gefunden und nichts falsch gemacht habe.


Wie ist das für dich, wenn deine Übersetzung ins Lektorat kommt und überarbeitet wird? Wie wichtig ist es dir die eigenen Entscheidungen in der Übersetzung zu bewahren?


Jedes Lektorat ist anders. Beim Verlag Scribe sind die Änderungen eher minimal. Das ist ziemlich „light touch“. Da geht es meistens um Grammatik, Tippfehler und Kleinigkeiten, aber nicht um größere Eingriffe. Momentan arbeite ich aber auch an der Übersetzung von zwei Romanen von Iris Wolff – Lichtungen und Die Unschärfe der Welt. Da ist es ein bisschen anders, denn die Verlegerin dieser Projekte spricht selbst Deutsch und hat dadurch oft ihre eigene Meinung und ändert viel. Das finde ich aber nicht schlimm, weil die Änderungen ja dazu dienen sollen, das Buch besser zu machen. Wir wissen, dass wir im selben Team sind und auf dasselbe Ziel hinarbeiten. Also ist das in Ordnung.


Du hast gerade erwähnt, dass du aktuell zwei Werke von Iris Wolff übersetzt. Ist es üblich, dass man als Übersetzer*in immer wieder für dieselben Schriftsteller*innen angefragt wird?


Das hängt davon ab, ob die Romane beim selben Verlag erscheinen. Eine Kollegin von mir – Charlotte Collins – und ich übersetzen schon seit fast zehn Jahren Nino Haratischwili und sind mittlerweile ihre festen Übersetzerinnen. Bei ihr hat es einen Verlagswechsel von Scribe zu HarperVia in Amerika gegeben und HarperVia hat uns sozusagen mitübernommen, aber das passiert nicht immer. Jeder Verlag hat seine Lieblingsübersetzer*innen.


Wie du in deiner letzten Antwort schon angesprochen hast, arbeitest du immer wieder auch zusammen mit anderen Übersetzer*innen an einem Projekt. Aktuell bist du Teil eines Teams, das gemeinsam die Biografie von Angela Merkel übersetzt. Wie lässt sich eine solche Teamarbeit organisieren? Gibt es spezielle Verfahren, um Konsistenz und Tonfall beizubehalten, wenn mehrere Übersetzende beteiligt sind?


Ja, das war eine Herausforderung, weil an dem Projekt insgesamt acht Übersetzer*innen beteiligt waren. Wir hatten wöchentliche Zoom-Meetings und viele gemeinsame Arbeitsdokumente. In denen wir festgehalten haben, wie bestimmte Begriffe übersetzt werden sollten, um durchgehend konsistent zu bleiben. Außerdem hatten wir mit Shaun Whiteside einen Hauptübersetzer, die dafür verantwortlich gewesen ist, das ganze Buch noch einmal durchzugehen und sicherzugehen, dass der Tonfall beibehalten wurde. Wir haben während der Arbeit auch die Texte der anderen gelesen, um zu vermeiden, dass unsere Übersetzungen zu stark voneinander abweichen.


Hast du abschließend Ratschläge für Menschen, die selbst gerne literarische Texte übersetzen würden?


Zuerst einmal: viel lesen auf beiden Sprachen. Das ist wichtig. Aber neben dem Entwickeln des eigenen Übersetzungshandwerks musst man als Übersetzer*in auch Aufträge bekommen. Ich denke, dieser zweite Teil ist oft der herausforderndere, weil es ohne Kontakte schwierig sein kann, Fuß zu fassen. Ich denke der Verband deutschsprachiger Übersetzer*innen (VDÜ) ist eine ganz gute Anlaufstelle. Der VDÜ hat viele Ressourcen und man hat die Möglichkeit, mit anderen Übersetzer*innen zu sprechen. Die meisten von ihnen sind sehr nett und ansprechbar.


Vielen lieben Dank für das Gespräch und die spannenden Einblicke.

 

Eine Fotocollage zur Veranstaltung „Gespräch über ein Buch“ am 16.11.2024 in der Kunsthalle Mannheim von Karl-Heinz Schelter.


 

Shida Bazyar stellt ihren Roman Drei Kameradinnen vor

Wie regt man Menschen zum Lesen an und bringt sie gleichzeitig mehr miteinander ins Gespräch? Mannheim hat darauf eine ganz besondere Antwort gefunden: Seit drei Jahren lädt die stadtweite Leseaktion Mannheim liest ein Buch dazu ein, sich in ein literarisches Abenteuer zu stürzen.

Ein Roman, der verbindet


Auftakt der Leseaktion 2024 bildet eine Lesung mit anschließender Gesprächsrunde in der Aula der Universität. Das Publikum ist gemischt – junge und ältere Menschen sitzen Seite an Seite, aufmerksam und gespannt. Ihnen geht es nicht nur darum, passiv Literatur zu konsumieren, sondern sie gemeinsam zu erleben und in einen Dialog zu treten.

Dieses Jahr fällt die Wahl für das „Buch der Stadt“ auf Drei Kameradinnen, den zweiten Roman der 1988 in Rheinland-Pfalz geborenen Autorin Shida Bazyar. Der Roman, 2021 für den Deutschen Buchpreis nominiert, ist tief verwurzelt in aktuellen gesellschaftlichen Themen. Er fordert seine Leserinnen und Leser auf, sich mit Fragen von Rassismus, Diskriminierung, sozialer Ungerechtigkeit und den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen.

Zu Beginn der Veranstaltung eröffnen die Organisator*innen des Lesefests, Sandra Beck und Thomas Wortmann, die Lesung. Anschließend betritt Shida Bazyar die Bühne, um das Publikum in die Welt von Drei Kameradinnen eintauchen zu lassen und sich gemeinsam mit den Organisator*innen den Fragen des Abends zu stellen.


Themen, die unter die Haut gehen: Wut, Migration und Klasse


Bazyars Roman Drei Kameradinnen handelt von der außergewöhnlichen Kameradschaft dreier junger Frauen in einer Welt, die das Leben von rassifizierten Personen immer wieder infrage stellt. Saya, Hani und Kasih berichten einander von Geschehnissen, um diese einordnen zu können: War das Diskriminierung oder Zufall? Soll man „sich ärgern oder einfach nur wundern“? Die Verbundenheit zwischen den jungen Frauen wird getragen von ihrer gemeinsamen Wut auf die Gesellschaft und den Überlebensstrategien, die sie in einer von Vorurteilen geprägten Welt entwickelt haben. „Es ist ein furioser Roman, der mich wieder einmal begreifen lässt, wie unglaublich gut politisch wütende Literatur sein kann. Denn es ist ein Text, dem es ästhetisch gelingt, Fassungslosigkeit und Bestürzung in ein Erzählen zu übersetzen, das präzise, pointiert und hochgradig reflexiv parteiisch ist“, erklärt Dr. Sandra Beck.


An Remarques Roman angelehnt


Die Atmosphäre im Saal ist geladen mit Neugierde, als Shida Bazyar schließlich die Bühne betritt. „Es gibt wenige Bücher, die diese Art von Kameradschaft aus weiblicher Perspektive zeigen“, sagt Bazyar, als sie auf die Bedeutung des Titels zu sprechen kommt. Sie erläutert, dass der Titel Drei Kameradinnen bereits feststand, bevor der Text überhaupt geschrieben wurde. „Das ist nicht selbstverständlich, aber dieser Begriff hatte für mich eine große Bedeutung.“ Die Inspiration dahinter stammt von Erich Maria Remarques Drei Kameraden, ein Klassiker, der die unerschütterliche Bindung zwischen Männern in schwierigen Zeiten beschreibt. „Für mich ging es darum, diese Idee auf eine neue Art zu erzählen“, sagt Bazyar. Kameradschaft sei ein Wort, das eine ganz andere Gewichtung habe als Freundschaft. „Es ist ein Begriff, der oft mit männlich geprägten Erzählungen und einem nationalen Kontext in Verbindung gebracht wird.“ Genau diese Vorstellung wollte Bazyar umkehren: Ihr Roman zeigt die tiefe Verbundenheit zwischen drei Frauen, die nicht dem klassischen Bild entsprechen, das man mit Kameradschaft assoziiert.

Bazyar spricht auch über die Darstellung ihrer Figuren: „Man muss keine Powerfrauen beschreiben, um Powerfrauen zu zeigen.“ Ihre Protagonistinnen sind tief in ihrer Wut verwurzelt, aber diese Emotion sei kein programmatischer Akt, sondern eine logische Konsequenz ihrer Erfahrungen. Kasih ist der ausgleichende Pol, Hani sucht Harmonie und Saya verkörpert den Modus der Wut. Der Roman ist in der deutschen Gegenwart verankert, indem er aktuelle Fälle rechtsextremistischen Terrors reflektiert.


Brücken bauen durch Literatur:
„Mannheim liest ein Buch“ im dritten Jahr


Die Themen, die Bazyar in ihrem Roman behandelt, treffen den Nerv der Zeit: Wie fühlt sich Wut an, wenn man in einer Welt lebt, die einem immer wieder Grenzen setzt? Welche Überlebensstrategien entwickeln Menschen, die sich ständig beweisen müssen? Die Antworten darauf sind vielschichtig und fordern die Leserinnen und Leser auf, sich mit den eigenen Vorstellungen und Privilegien auseinanderzusetzen. „Literatur hat die Magie, uns Dinge begreifen zu lassen, die Worte allein nicht erklären können“, sagt Bazyar zum Abschluss.


Die Veranstaltungsreihe Mannheim liest ein Buch geht bereits in die dritte Runde und hat sich als erfolgreiches Format etabliert. Zum Ende bleibt die Energie des Abends im Raum spürbar. Worte haben eine eigene Kraft, und Shida Bazyar hat sie genutzt, um die Zuhörer zu bewegen und zum Nachdenken zu bringen. Einmal mehr zeigt Mannheim liest ein Buch, dass Literatur eine Brücke ist – eine Brücke, die Menschen verbindet und sie gemeinsam auf eine Reise schickt, die im Innersten berührt.

Dieser Text von Alina Nardo entstand im Rahmen des Praxismoduls des Master-Studien­gangs Literatur, Medien und Kultur der Moderne der Universität Mannheim in dem Seminar „Interview, TikTok, Rezension. Kulturjournalismus rund um ‚Mannheim liest ein Buch‘“.

Design

Plakat „Mannheim liest ein Buch 2024“

Plakat von 2024

Wir danken dem Kulturamt der Stadt Mannheim für die Zusammenarbeit sowie Absolventum für die Unterstützung.