Shida Bazyar stellt ihren Roman Drei Kameradinnen vor

Wie regt man Menschen zum Lesen an und bringt sie gleichzeitig mehr miteinander ins Gespräch? Mannheim hat darauf eine ganz besondere Antwort gefunden: Seit drei Jahren lädt die stadtweite Leseaktion Mannheim liest ein Buch dazu ein, sich in ein literarisches Abenteuer zu stürzen.

Ein Roman, der verbindet

Auftakt der Leseaktion 2024 bildet eine Lesung mit anschließender Gesprächsrunde in der Aula der Universität. Das Publikum ist gemischt – junge und ältere Menschen sitzen Seite an Seite, aufmerksam und gespannt. Ihnen geht es nicht nur darum, passiv Literatur zu konsumieren, sondern sie gemeinsam zu erleben und in einen Dialog zu treten.

 

Dieses Jahr fällt die Wahl für das „Buch der Stadt“ auf Drei Kameradinnen, den zweiten Roman der 1988 in Rheinland-Pfalz geborenen Autorin Shida Bazyar. Der Roman, 2021 für den Deutschen Buchpreis nominiert, ist tief verwurzelt in aktuellen gesellschaftlichen Themen. Er fordert seine Leserinnen und Leser auf, sich mit Fragen von Rassismus, Diskriminierung, sozialer Ungerechtigkeit und den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen.

 

Zu Beginn der Veranstaltung eröffnen die Organisator*innen des Lesefests, Sandra Beck und Thomas Wortmann, die Lesung. Anschließend betritt Shida Bazyar die Bühne, um das Publikum in die Welt von Drei Kameradinnen eintauchen zu lassen und sich gemeinsam mit den Organisator*innen den Fragen des Abends zu stellen.

Themen, die unter die Haut gehen: Wut, Migration und Klasse

Bazyars Roman Drei Kameradinnen handelt von der außergewöhnlichen Kameradschaft dreier junger Frauen in einer Welt, die das Leben von rassifizierten Personen immer wieder infrage stellt. Saya, Hani und Kasih berichten einander von Geschehnissen, um diese einordnen zu können: War das Diskriminierung oder Zufall? Soll man „sich ärgern oder einfach nur wundern“? Die Verbundenheit zwischen den jungen Frauen wird getragen von ihrer gemeinsamen Wut auf die Gesellschaft und den Überlebensstrategien, die sie in einer von Vorurteilen geprägten Welt entwickelt haben. „Es ist ein furioser Roman, der mich wieder einmal begreifen lässt, wie unglaublich gut politisch wütende Literatur sein kann. Denn es ist ein Text, dem es ästhetisch gelingt, Fassungslosigkeit und Bestürzung in ein Erzählen zu übersetzen, das präzise, pointiert und hochgradig reflexiv parteiisch ist“, erklärt Dr. Sandra Beck.

An Remarques Roman angelehnt

Die Atmosphäre im Saal ist geladen mit Neugierde, als Shida Bazyar schließlich die Bühne betritt. „Es gibt wenige Bücher, die diese Art von Kameradschaft aus weiblicher Perspektive zeigen“, sagt Bazyar, als sie auf die Bedeutung des Titels zu sprechen kommt. Sie erläutert, dass der Titel Drei Kameradinnen bereits feststand, bevor der Text überhaupt geschrieben wurde. „Das ist nicht selbstverständlich, aber dieser Begriff hatte für mich eine große Bedeutung.“ Die Inspiration dahinter stammt von Erich Maria Remarques Drei Kameraden, ein Klassiker, der die unerschütterliche Bindung zwischen Männern in schwierigen Zeiten beschreibt. „Für mich ging es darum, diese Idee auf eine neue Art zu erzählen“, sagt Bazyar. Kameradschaft sei ein Wort, das eine ganz andere Gewichtung habe als Freundschaft. „Es ist ein Begriff, der oft mit männlich geprägten Erzählungen und einem nationalen Kontext in Verbindung gebracht wird.“ Genau diese Vorstellung wollte Bazyar umkehren: Ihr Roman zeigt die tiefe Verbundenheit zwischen drei Frauen, die nicht dem klassischen Bild entsprechen, das man mit Kameradschaft assoziiert.

 

Bazyar spricht auch über die Darstellung ihrer Figuren: „Man muss keine Powerfrauen beschreiben, um Powerfrauen zu zeigen.“ Ihre Protagonistinnen sind tief in ihrer Wut verwurzelt, aber diese Emotion sei kein programmatischer Akt, sondern eine logische Konsequenz ihrer Erfahrungen. Kasih ist der ausgleichende Pol, Hani sucht Harmonie und Saya verkörpert den Modus der Wut. Der Roman ist in der deutschen Gegenwart verankert, indem er aktuelle Fälle rechtsextremistischen Terrors reflektiert.

Brücken bauen durch Literatur:
Mannheim liest ein Buch im dritten Jahr

Die Themen, die Bazyar in ihrem Roman behandelt, treffen den Nerv der Zeit: Wie fühlt sich Wut an, wenn man in einer Welt lebt, die einem immer wieder Grenzen setzt? Welche Überlebensstrategien entwickeln Menschen, die sich ständig beweisen müssen? Die Antworten darauf sind vielschichtig und fordern die Leserinnen und Leser auf, sich mit den eigenen Vorstellungen und Privilegien auseinanderzusetzen. „Literatur hat die Magie, uns Dinge begreifen zu lassen, die Worte allein nicht erklären können“, sagt Bazyar zum Abschluss.

 

Die Veranstaltungsreihe Mannheim liest ein Buch geht bereits in die dritte Runde und hat sich als erfolgreiches Format etabliert. Zum Ende bleibt die Energie des Abends im Raum spürbar. Worte haben eine eigene Kraft, und Shida Bazyar hat sie genutzt, um die Zuhörer zu bewegen und zum Nachdenken zu bringen. Einmal mehr zeigt Mannheim liest ein Buch, dass Literatur eine Brücke ist – eine Brücke, die Menschen verbindet und sie gemeinsam auf eine Reise schickt, die im Innersten berührt.

Dieser Text von Alina Nardo entstand im Rahmen des Praxismoduls des Master-Studien­gangs Literatur, Medien und Kultur der Moderne der Universität Mannheim in dem Seminar „Interview, TikTok, Rezension. Kulturjournalismus rund um ‚Mannheim liest ein Buch‘“.